Interview mit George Winet, Gemeindeammann in Hornussen im Fricktal / Bözberg-West, Kanton Aargau. Mit dem Start der neuen Gemeinde Böztal am 1. 1. 2022 endet sein Amt. Sein Tipp an neu gewählte Gemeinderäte: „Schafft ein gutes Arbeitsumfeld und bezieht „das Volk“, d.h. alle Einwohner, mit ein. Tut Gutes und kommuniziert..“
Was war der Auslöser, dass Sie in die Politik eingestiegen sind? Hatten Sie bereits Erfahrungen mit „Politik“?
Politische Erfahrung? Nein, keine. Allerdings haben mir meine Erfahrungen als Unternehmer sehr geholfen. Der Grund war, dass die Gemeinde kurz vor der Zwangsverwaltung durch den Kanton stand, weil niemand für das Amt gefunden werden konnte.
Was wollten Sie persönlich erreichen, was waren Ihre Ziele? Waren Sie sich des hohen, notwendigen Zeitbedarfs bewusst?
Vorstellungen, was das Amt beinhalten würde, hatte ich nicht, auch nicht über den Zeitaufwand. Dieser war dann doch um einiges höher als erwartet. Die Gemeindeautonomie zu erhalten und selbst etwas beitragen zu können, war mir wichtig. Ich wollte einiges besser machen.
Wie erfolgte für Sie der Start als „Neuling“ in Politik und Verwaltung? Von welcher der notwendigen Ausbildungen und Einführungen konnten Sie profitieren?
Es gab einen mehrtägigen Einführungskurs, aber das Feld der Gemeindearbeit ist so breit gefächert, dass selbst dieser Kurs nicht alles abdecken konnte. Es fing bei der Wasserversorgung an und ging über Müllabfuhr, Abwasser, Strassenbau, Kindesschutz, Nachbarschaftsstreit, Sozialhilfe, Finanzwesen, Umweltschutz, Hochbau, Tiefbau, Regionalplanung bis zu Verkehrsplanung, Leitlinien für die Gemeinde und deren zukünftige Ausrichtung, Baugesetze, und da ist noch lange nicht alles aufgezählt. Die wichtigen Themen Arbeitsweise, Kommunikation, Führung und
Organisationsentwicklung wurden zu meinem Bedauern sehr „stiefmütterlich“ behandelt.
Welches waren die mit Ihrem Amt verbundenen Herausforderungen? Wie sind Sie diese angegangen?
Kritik verbreiten ohne Sachbezug: So wurde z.B. in einem Zeitungsartikel erwähnt, dass der Gemeindeammann unsachlich sei. Solche Bewertungen wirken lange nach, und ich habe das als geschäftsschädigend empfunden. Etwas seltsam fand ich den Umstand, dass öfters Personen ärgerlich auf mich waren, die ich weder dem Namen nach noch nach deren Gesicht kannte. Sehr viel stammte bei denen vom „Hörensagen“ und von Informationen über „Vielecke“; diese verlieren oft ihren Wahrheitsgehalt oder deren Realitätsbezug. Natürlich ist durch das Kommunikationskonzept vorgegeben, dass alle Verfügungen, auch die so nicht geschätzten, vom Gemeindeamman unterschrieben werden. Da kam es doch des Öfteren vor, dass dies jemand persönlich nahm. Dabei lernte ich, dass Aufklärungsarbeit oft mehr schadet als nützt, also dass es dann eher als bekennendes Unrechtsempfinden unsererseits gewertet wird denn als Vermittlungsversuch. Einige hatten auch die Grundeinstellung, dass ich deren Angestellter sei und sie eigentlich der Chef. Das ist insofern richtig, dass das Kollektiv, also der Souverän im Ganzen in der Tat das oberste Organ der Gemeinde ist, nicht jedoch das Individuum als einzelnes. Ich suchte wenn immer möglich das Gespräch um eine Basis für ein gegenseitiges Verständnis zu schaffen.
Was motivierte Sie? Was brachte Ihnen die Tätigkeit insgesamt?
Die Tätigkeit ist unbestritten sehr interessant, man sieht hinter die Kulissen, sieht all die Zusammenhänge in der Politik, und man lernt auch, dass man als Gemeinderat sehr viel Macht hat, viel mehr als man bei Amtsantritt glaubte. Nicht als Macht gegenüber einem Mitbürger, sondern gegenüber anderen Behörden. Es ist noch lange nicht so, dass, wenn der Kanton „kusch“ sagt, man dann auch kuschen muss. Man darf da auch mal Zähne zeigen. Leider geht das jedes Mal bei Amtswechseln verloren, und das nützen unsere lieben (kantonalen) Verwaltungsangestellten (Beamte gibt es nicht mehr!) leidlich aus und installieren gerne einen Apparat, den man zuerst mal durchschauen muss. Aus einer Empfehlung wird dann sogleich ein „tun müssen“, was oft aber nicht der Fall ist.
Woran errinnern Sie sich heute gerne, was hat Sie beeindruckt, was haben Sie gelernt?
Beindruckt? Ganz klar von der Breite des notwendigen Wissens, von der Tiefe, mit der man in die Materie einsteigen muss, mal ganz zu schweigen. Beeindruckt hat mich mit welcher Leichtigkeit Verwaltungen Dinge zu deren Gunsten biegen (ich will jetzt mal nicht brechen sagen) können. Ein einziges Wort zu betonen kann eine Sachlage ganz anders darstellen. Wenn der Leser jemals die Sachlagen von zwei gegenteiligen Anwälten im einem Prozess gelesen hat, so weiss er, von was ich rede. Jeder Anwalt glaubt am Schluss recht zu haben, obwohl beide diametral gegensätzlich argumentieren! Generell wird die Gemeindearbeit mehr und mehr juristisch geprägt und weniger nach gesundem Menschenverstand. Auf der einen Seite verständlich, will man doch alle gleich behandeln, nicht einzelne gleicher. Auf der anderen Seite kommt beim Bürger dadurch sehr oft der Eindruck eines Amtsschimmels auf, der am Durchdrehen ist.
Welche Bedeutung und Auswirkungen hatte Ihr Amt auf Ihre Familie und Freunde? Kennen Sie Ihren Arbeitsaufwand in den zwei Amtsperioden Ihrer Tätigkeit für das Allgemeinwohl? Trifft die Schätzung von 1’200 Stunden pro Jahr zu?
Vor allem Verzicht. Verzicht auf gemeinsame Zeit. Mhmm, Zeitaufwand, kommt hin, sofern man nicht „heisse Themen“ hat wie z.B. Deponien, dann kann es durchaus mehr werden. Ich konnte viele neue Personen und Institutionen kennenlernen.
Wie sehen Sie die künftige Entwicklung in Gemeindeautonomie, Politik, Demokratie und Verwaltungsführung? Gibt es in der Zukunft das Milizsystem in der politischen Führung noch?
Das Milizsystem abzubauen halte ich für sehr gefährlich, siehe unser nördlicher Nachbar. In der Führungs- und Verwaltungsstruktur fehlen überall Fachkenntnisse, Kompetenzen und Bezug zur Realität. Klar ist, je grösser diese Strukturen werden, umso mehr verliert der „Dorfkönig“ seine Macht. Je nach Dorfkönig ist das gut, oder eben auch nicht. Fakt ist, wann immer ein Unternehmer eine Gemeinde leitet, umso erfolgreicher wird diese sein. Ich kenne einige fähige Personen in unserer Gemeinde, die am Ende sich doch nicht für das Amt entschieden haben, gerade weil sie ein eigenes Geschäft haben. Zu schnell kommt da der Vorwurf „Südeckeli Sühäfeli“, also der persönlichen Begünstigung auf, statt froh zu sein, einen erfolgreichen Geschäftsmann als Kapitän am Steuer zu haben.
Wenn Sie an Ihre Nachfolger oder andere neue „Einsteiger“ denken, welche Tipps würden Sie ihnen geben?
Mich ärgern immer jene, die die Faust im Sack machen oder am Stammtisch alles besser wissen, selber aber nie in ein Amt gehen wollen. Oder jene die im Amt waren und ihre eigenen Versäumnisse dann von den Nachfolgern gelöst haben wollen. Jene die es wagen, lernen viel. Es ist interessant, aber Dank darf man nicht erwarten, schliesslich wurde das ja vorausgesetzt. Am Ende habe ich einen Erfahrungsschatz den ich nicht missen möchte. Und die Befriedigung, dass vieles, das ich vorhergesehen habe, auch so eingetroffen ist. Bei dem einen oder anderem dauert es noch bis zur Erkenntnis, aber da arbeitet die Zeit für mich. Tipps: Berücksichtigt die bestehende Kultur der Gemeinde sowie den Organisationsgrad der Behörden und deren Verwaltungen. Dabei ist es relevant, dass Behörden und Verwaltungen eine hohe Fachkompetenz besitzen. Schafft ein gutes Arbeitsumfeld und bezieht „das Volk“, d.h. alle Einwohner, mit ein. Tut Gutes und kommuniziert..
Besten Dank für die Beantwortung der Fragen und weiterhin viel Erfolg auf Ihrem weiterem Lebensweg!
Das Interview wurde geführt von Heinz Oftinger, Fachjournalist SFJ / ViF, mediendienst@faktenundzahlen.ch , innoFutura Medien
Eine gekürzte Version wurde von der Aargauerzeitung AZ am 24. Dezember 2021 veröffentlicht.
Foto www.mariabobrova.com Hornussen